Pavillon aus Beton erweitert 1930er Jahre Haus
Text: Susanne Ehrlinger
Herausgeber: InformationsZentrum Beton GmbH (Beton.org)
Düsseldorf, November 2020. Ein nahezu stützenloser Stahlbetonbau mit Terrazzoboden, Wand- und Deckenflächen aus Sichtbeton ergänzt einen traditionellen Altbau. Zum Garten hin lässt sich der neue, stützenfreie Pavillon aus Beton weit öffnen. So entsteht ein fließender Übergang zwischen Innen und Außen.
Die Lage im Berliner Stadtteil Wannsee könnte besser nicht sein. Das 1000 Quadratmeter große eingewachsene Grundstück mit altem Baumbestand lädt zum Verweilen im Grünen ein. Für modernes Wohnen nach heutigen Vorstellungen bot das Einfamilienhaus aus den 1930er Jahren allerdings zu wenig Raum und Großzügigkeit. Mit reizvollen Details versprüht es historischen Charme, lässt aber die Vorzüge und Qualitäten moderner Architektur vermissen. Die Lösung brachte ein abgerückter Bau aus Beton, – weniger Anbau als eigenständiger Baukörper – der dem Altbau ein Pendant mit raumgreifenden Durchblicken, weiten Öffnungen und zeitgemäßer Gestaltung zur Seite stellt. Das Zusammenspiel der beiden virtuos aufeinander abgestimmten Bauten, die zweierlei Wohnvorstellungen respektieren, kam den Bauherren sehr entgegen. Es gab den Wunsch Alt und Neu funktional zu trennen und doch eine Einheit zu schaffen. So wurde das bestehende Wohnhaus behutsam saniert und im Innern neu organisiert. Neben der Erschließung dient es mit Sanitärräumen und der Bibliothek eher als Rückzugsort. In den oberen Stockwerken befindet sich der Schlafbereich, unterm neuen ausgebauten Dach auch ein kleines Studio. Das rückseitig zum Garten liegende, ehemalige Esszimmer wurde ganzseitig geöffnet. Hier schließt sich über eine Brücke mit breiter Stufung der neue Pavillon mit direktem Zugang zum Garten an. Diese Wohnhalle mit offenem Wohn- und Küchenbereich ist neuer Lebensmittelpunkt der Familie.
Fotos: Bonauer Bölling Architekten
Erschienen auf Beton.org, Düsseldorf, November 2020
Stahlbeton begegnet Mauerwerk
Von der Anliegerstraße aus gesehen hat sich nicht viel verändert. Den Reiz des eher zurückhaltenden Bestands, wie die gewalmte Dachform, die Kastenfenster und den Kalkputz hat die Bonauer Bölling Partnerschaft von Architekten aus Berlin erhalten. Auch die seitliche Erschließung deutet mehr auf Understatement hin als auf einen großen Wurf. Der ist erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Denn nicht nur ein erweiternder Anbau, wie angedacht war, vielmehr ein komplett neuer Gebäudetrakt öffnet sich an der Rückseite des Gebäudes zum Garten hin.
Breiter als der Bestand, durch das Flachdach jedoch wohldimensioniert, umfasst der angedockte Quader mit 90 Quadratmetern fast genauso viel Wohnfläche wie der gesamte, dreigeschossige Altbau. Im Gegensatz zum restauratorischen Ansatz, der die Detaillierung der 1930iger Jahre aufgreift und bedacht modernisiert, beinhalte der Neubau eine räumlich andere Arbeit, erinnert sich Architekt Markus Bonauer an die spannende Entwurfs- und Planungsphase. Während der Bestand mit 2,50 Metern Deckenhöhen eher erdrückend wirke und kleinteilige Grundrisse optimiert werden mussten, ermöglichte der Pavillon andere Dimensionen und Spannweiten. „Es ging uns darum, möglichst stützenfrei zu arbeiten.“ So bot sich Beton bei der Frage der Konstruktion wie selbstverständlich an. „Uns schwebte Beton als ein authentisches Material vor, ohne industriell zu wirken“.
Pavillon aus Beton, Glas und Holz
Eine 80 Zentimeter breite Fuge trennt die beiden Gebäude konstruktiv und gestalterisch voneinander. So bleibt Platz für eine separate Gründung und Entwässerung. Ein groß dimensionierter Unterzug schafft einen breiten Durchgang, der über breite Stufen vom Altbau in den neuen Wohntrakt führt. Dieser eigenständige Baukörper aus Stahlbeton steht auf einer massiven Bodenplatte, die ihrerseits aufgrund statischer Erfordernisse nach Bodenaustausch auf Streifenfundamenten aufliegt. Aus dem 14 Meter langen, stützenfreien Innenraum reicht der weite Blick durch eine vollflächige Glasfassade ins Grüne. Die beiden mittigen dreieinhalb Meter breiten Öffnungsflügel der Holz-Aluminium-Konstruktion lassen sich mittels Hebe-Schiebe-Elementen jeweils weit öffnen, sodass man nahtlos zur breiten, vorgelagerten Terrasse gelangt; diese wiederum führt seitlich hinab in den Garten. Lediglich links und rechts der verbleibenden Festverglasung stehen zwei Stahlstützen; die Attika ist als Überzug ausgebildet.
Für die Betonwände, Decke und Boden ließ der Rohbauer Transportbeton C25/30 von Heidelberger Beton anliefern, alle Betonbauteile, einschließlich der Decke wurden vor Ort betoniert. Ein durch seine Körnung farblich auf die Gestaltung der Innenräume abgestimmter Walz-Terrazzo bedeckt den Heizestrich am Boden. Die seitlichen Fassaden und die Attika bekleideten die Architekten als VHF mit einer teils horizontalen und vertikalen, vorgegrauten Lärchenschalung. Im Inneren sollten die Wände, Decke und Fußboden jedoch die authentische Anmutung sichtbar belassener Betonoberflächen zeigen. Sie wurden bewusst in Kontrast gesetzt zu wohnlichen Eichenpanelen, befestigt an einigen Wandscheiben, entlang der Brücke zur Bibliothek und vor nützlichen Vorratsschränken, die den Stauraum der offenen Küche erweitern. In die 80 Zentimeter tiefe holzbekleidete Fuge ließ sich nahezu unsichtbar auch die erforderliche Haus- und Medientechnik einbauen.
Hoher Anspruch an Sichtbeton
Mitarbeiter der Architektenpartnerschaft von Bonauer Bölling hatten zwar bereits Erfahrung mit der Planung und Ausführung von hoher Betonqualität, jedoch war doch Haus Wannsee für die Architektenpartnerschaft das erste Sichtbetonprojekt. Die bei diesem Haus gewünschte Wohnraumqualität von Beton beinhaltete für Architekt Bonauer eine homogene, samtige Oberfläche ohne Lunker. Gleichwohl war ihm bewusst, dass Ortbetonbauten Unikate sind, deren Flächen eine individuelle, innere Zeichnung zeigen, die Bestandteil der Authentizität des vor Ort verarbeiteten Werkstoffs sind. Um das optimale Ergebnis zu erzielen wurden die beiden sichtbar belassenen Seitenwände und die Decke des Stahlbetonbaus entsprechend Schalungsmusterplan in der höchsten Sichtbetonklasse SB 4 ausgeschrieben und ausgeführt. Bei diesem Bau wird deutlich, wie unabdingbar und sinnvoll das Arbeiten im Sichtbetonteam ist. Der Weg von der Idee über die Ausschreibung bis zu Realisierung muss sehr viele der Baubeteiligten einbeziehen. „Alle Gewerke müssen mitziehen“, so Markus Bonauer, der sich gut an die „Einsatzzentrale im Altbaukeller“ erinnert: „Wir hatten dort quasi eine Bauhütte mit lokalen Handwerkern eingerichtet, die immer zur Baubesprechung kamen.“ Anhand mehrerer Betonmuster ließ sich zunächst die angestrebte Oberflächenqualität definieren. „Es war eine Herausforderung alle auf das angestrebte Resultat einzuschwören.“ Neben den Ausführenden setzten sich beim Rohbau auch der Statiker und der Generalunternehmer engagiert mit an den Tisch.
Die lange passgenaue Glasfassade duldete beispielsweise nur minimale Durchbiegung. Entlang eines sehr präzisen Detaillierungsplans der Architekten mussten außerdem exakt platzierte und genau definierte Ausschnitte sowie flächenbündige Anschlüsse für Elektro und präzise geplante Fugenbilder in Wand und Boden umgesetzt werden. Alle Beteiligten hatten penibel auf die geringen Maßtoleranzen zu achten. So ermöglichte ein gutes Baumanagement und das Engagement aller zu realisieren, was zunächst von einigen Seiten in Frage gestellt worden war.
Sichtbetonflächen nach Maß
Um das gewünschte, homogene Erscheinungsbild zu erreichen, wählte der Rohbauer eine Trägerschalung, in die eine Schalungshaut aus neuen, 2.50 x 1.00 Meter großen Siebdruckplatten integriert wurde. Das dezente Schalbild erforderte eine nicht sichtbare rückseitig befestigte, geölte Schalhaut, die vorab auch noch eigens künstlich gealtert worden war. Hierzu wird zunächst pastöser Zementleim auf die neuen Schalbretter aufgetragen, damit dieser mit den Holzinhaltstoffen reagiert und sie weitgehend neutralisieren kann. Nach Trocknung lässt sich die Paste abkehren. Man möchte mit dieser Behandlung verhindern, dass Holzinhaltstoffe mit der Betonrandzone reagieren, womöglich das Abbinden verzögern und beim Entschalen Ausbrüche und/oder unschöne Kanten verursachen. Auch Verfärbungen am Beton sollen mit dieser Methode verhindert werden. Schalungsstöße ließen die Architekten mit Moosgummi abdichten. Insgesamt erfolgte die Verarbeitung gemäß den Vorgaben für die Bemusterung von Betonflächen mit besonders hoher gestalterischer Bedeutung. Diese Vorgaben für SB 4 beziehen sich etwa auf die Qualität und zulässige Toleranz bei Abweichung bezüglich Arbeits- und Schalungsfugen, auf Textur und Gleichmäßigkeit des Farbtons sowie Ebenheit. Was idealtypisch beschrieben wird, unterliegt dennoch kaum zu ändernden Einflüssen, wie etwa dem Wetter oder der Art der Verdichtung. Daher bleibt Sichtbeton immer ein Unikat, das allerdings durch seine Lebendigkeit überzeugen kann. In Berlin Wannsee wurde im nassen Februar gebaut. Zunächst hatte sich Bewehrung an der Decke abgezeichnet, dieser Schein verblasste aber im Laufe der Zeit.
Gemäß der Werkplanung der Architekten wurden abschließend Ankerkonen aus Beton in den Ankerlöchern im Schalbild angebracht, von einem Unternehmen, das dem Beton mit einer aufgesprühten Hydrophobierung auch sein abschließendes Oberflächenfinish gab. Eine samtig pudrige Oberfläche ohne Abrieb ist das überzeugende Ergebnis. Markus Bonauer sieht in dieser „Betonkosmetik“, die gegebenenfalls noch kleine Fehlstellen bearbeitet, auch keine Mängelbeseitigung, vielmehr eine Oberflächenveredelung von spezialisierten Fachleuten, die über ein anderes Know-how als die Rohbauer verfügen müssen. Seiner Meinung nach sollte diese Arbeit bei Sichtbetonbauten mit einkalkuliert werden.
In Berlin Wannsee hat sich die Fläche des Wohnhauses familiengerecht mehr als verdoppelt, der Lebensmittelpunkt hat sich in den wohnlichen Betonbau verlagert. Die Wertigkeit dieses Neubaus, der nicht viel teurer als die Sanierung des Bestands war, kommt nicht zuletzt in seiner gekonnten Kombination von Beton und Holz zum Ausdruck. Architekt Markus Bonauer hat mit Beton nun gute Erfahrungen gemacht. Derzeit plant sein Büro ein mehrstöckiges Geschäftshaus in Berlin Mitte. Es soll wieder ein Sichtbetonbau werden.
Text: Susanne Ehrlinger, Düsseldorf, November 2020, erschienen auf Beton.org
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